“Männer jetzt gilt es! Auf geht’s Mädels! 120%!” So hallt es jedes Wochenende durch die Umkleidekabinen der Republik. Natürlich  sind die motivationalen Erweckungsversuche der verantwortlichen Trainerinnen und Trainer gut gemeint. Dahinter steckt der weit verbreitete Glaube, man müsse aufwecken, bei der Ehre packen und kräftig in den Hintern treten.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Läuft die Partie, scheinen die Coaches recht zu behalten, der eine ist gar nicht auf dem Platz, die andere findet nicht statt.  Man fühlt sich bestätigt, der Wake-up-Call kam nicht an. Zu leise. Und schon wird eine Schippe an Eindringlichkeit und Prozenten draufgelegt! Männer, es geht um ALLES!” Dass eben dieser Satz das eigentliche Problem sein könnte, daran denken die Wenigsten, die von der Seitenlinie aus alles geben.

Trainingsweltmeister und Freistoßgott

Der Fußballprofi Hakan Çalhanoğlu ist ein echter 10er, ein Mittelfeldstratege, der das Spiel seiner Mannschaft lenkt, die Fäden zieht/in der Hand hält und an einem guten Tag den Unterschied machen kann. Das können andere 10er auch. Çalhanoğlu verfügt über eine weitere besondere Fähigkeit. Er ist ein exzellenter Freistoßschütze. Auf die Frage eines Reporters, warum er nicht nur überdurchschnittlich viele Freistöße verwandle, sondern auch mit einer geradezu beneidenswerten Lockerheit, antwortete Hakan Çalhanoğlu: “Vielleicht,  weil ich früher nach dem Training noch wie ein Weltmeister Freistöße geübt habe.”

Zu wenig Anspruch im Training, zu viel im Spiel

Wer nach dem Training schnell in der Dusche verschwindet, wer keine Lust auf Extraschichten hat, wer meint, unter der Woche reichten 80%, damit man am Wochenende alles raushauen, über seine Leistungsgrenze gehen kann, der irrt. Viele Sportler; selbst Profis, machen den Fehler, mit wenig Anspruch zu trainieren und dann mit viel  ins Spiel zu gehen. Dabei wird umgekehrt der sprichwörtliche Schuh draus: Wer beim Training alles in die Waagschale wirft, hat am Wochenende die notwendige Lockerheit.

Von Profis lernen

In der Arbeit mit Höchst- und Spitzenleistern ist auffällig, dass genau das passiert: Ein sehr erfolgreicher Musiker sagte zu mir kurz vor einem Auftritt in einer Fernsehshow: “Ich weiß, dass ich hier nicht alles geben muss, um eine gute Show zu liefern und das verleiht mir eine große Lockerheit. Warum? Weil wir sehr konzentriert geprobt haben, nicht lange, aber sehr fokussiert.” Eine Lockerheit, die ich sowohl in unserem Gespräch als auch später bei seinem Auftritt spürte.

Von Phil Taylor lernen

Im Training ist es durchaus sinnvoll, den Anspruch an sich sehr hoch zu setzen. Im Wettkampf dagegen sollte genau das Gegenteil passieren. Frei nach dem Motto: Wer mit 100% trainiert, gewinnt mit 80%. Dart-Legende Phil Taylor sagte mir mal kurz nach einem seiner umjubelten Auftritte, dass genau diese Logik für ihn den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmacht: “Während die anderen schön locker trainiert haben, ist mein Fokus im Training brutal hoch.” Einsicht eines 16-fachen Dart-Weltmeisters. Zum Nachahmen empfohlen. Ein Hoch auf alle Trainingsweltmeister!

“Männer, gestern im Training galt es, jetzt geht raus und habt Freude!”