Weißer Hosenanzug, schwarze Sonnenbrille, 80er-Jahre Mähne: Ich habe Lampenfieber vor dem Schritt ins Licht! Die Schlagersängerin Gitte Haenning fasst das Phänomen so kurz wie richtig zusammen. Herzflimmern und Flattern wie ein Schmetterling. Jeder Auftritt bringt unsere Gefühle in Wallung. Das ist normal, total normal. So lange nicht zu viel oder zu wenig in Wallung ist.
Das ist gefährlich, lebensgefährlich, zu viel Gefühl, sang die Band IDEAL, ebenfalls in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Ebenso jedoch zu wenig Gefühl. Auch knapp 40 Jahre später kommt es darauf an, wie wir mit unseren Gefühlen umgehen. Den positiven wie den negativen.
Und dass wir die richtige Mischung finden.
Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt
Ich spreche mit meinem Klienten. Bundesligaspieler. Er blickt plötzlich auf sein Handy. Wirkt abwesend. Wichtige Nachrichten, ich kenne das Theater. Erst werden die Augen groß und die Lippe klappt runter. Dabei schiebt sich der Kopf nach vorne. Doch während er sonst ruft: „Sie will mich treffen!“ oder „Es wird ein Junge!“ weicht jetzt die Freude aus seinem Gesicht. Und scheint alle Körperspannung mitzunehmen. Er steht rum wie ein Eimer Majo an der Pommesbude.
„Was ist los?“ Er ist blass geworden. „Der Trainer schreibt. Ich soll morgen im Derby von Beginn an spielen. Und dann auch von Anfang an. Wie soll ich in die Zweikämpfe gehen, mein Knie ist doch gerade erst ausgeheilt?“ Und ich denke: Aha. Gemischte Gefühle.
Auf Händen getragen oder gnadenlos ausgepfiffen?
Per Mertesacker hat mir seine Gefühle einmal so beschrieben: „Feiern Dich die Fans, ist das unbeschreiblich. Pfeifen sie Dich aus… Puh, da willste im Rasen versinken.” Da ist er also, der Wettkampf. Er mischt die Gefühle. Er macht den Selbstwert groß. Und löscht ihn zugleich aus. Verkriechen, fliehen, bloß weg hier.
Probetraining, Prüfung, Präsentation sind der natürliche Lebensraum der gemischten Gefühle. Und so natürlich ihr Lebensraum, so natürlich sind auch unsere gemischten Gefühle: Unser Gehirn prüft, ob es sich der Aufgabe gewachsen fühlt. Dabei bewertet es die Folgen von Scheitern oder Gelingen. Warum aber nun gemischte Gefühle? Weil die Prüfung gleichzeitig geschieht, in zwei voneinander unabhängigen Bereichen des Gehirns, dem Nucleus Accumbens und der Amygdala. Gut zu wissen.
Die Mischung macht’s
Damit aus Wissen Tun wird, damit wir unseren gemischten Gefühlen auf die Spur kommen, gibt es eine Übung: Augen schließen und an den nächsten Auftritt denken. Nun bewerte jeweils auf einer Skala von 0-100, wie hoch Deine positiven und wie hoch negative Gefühle im Angesicht Deines Auftritts sind. Hast Du Dein Mischungsverhältnis? Gut.
Doch wo liegt nun das optimale Anspannungsniveau? Die Erfahrung zeigt: Selbstverständlich nicht bei 100% negativ, aber eben auch nicht bei 100% positiv. Wie so oft im Leben: Die gute Mischung macht’s. Als Faustformel gilt: Eine zu positive Gefühlslage ist genauso so wenig förderlich für Deinen Auftritt wie eine zu negative. Klingt paradox und kennt doch jeder von uns: Wer keinerlei Anspannung mehr spürt, wird unkonzentriert oder gar überheblich. Wer zu viel Anspannung spürt, weil ihn die negativen Gefühle beherrschen, den regiert im schlimmsten Fall die Angst.
Optimales Anspannungsniveau finden
Und mit der Angst im Nacken misslingen selbst die einfachsten Dinge. Das optimale Anspannungsniveau liegt im Durchschnitt um die 70 positiv und möglichst kleiner 30 negativ. Oder um es mit Per zu sagen: Meistens feuern sie Dich an, aber sie können auch ziemlich laut pfeifen.
Finde das für Dich optimale Anspannungsniveau heraus und spiele Dein Spiel. Auf dem grünen Rasen, dem roten Teppich, auf allen Brettern, die Deine Welt bedeuten. Gemischte Gefühle sind ein Garant für ein Anspannungsniveau, das Deinen Auftritt gelingen lässt.