Ja, es gab auch vor Usain Bolt schnellste Männer der Welt. Einer von ihnen war – ebenfalls aus Jamaika – Asafa Powell. Sein Ziel bei der Leichtathletik WM 2007 in Osaka: die Goldmedaille. Die Prognose: Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn jemand anderes als erster über die Ziellinie laufen sollte. Das Ergebnis: Weltmeister wird Tyson Gay aus den USA, Asafa Powell muss sich mit der Bronzemedaille noch hinter Derrick Atkins von den Bahamas zufriedengeben.

Im Kopf beim Rivalen

Im Finale führte Asafa Powell mit seiner hohen Schrittfrequenz und guten Kraftübertragung vom Start weg das Feld an. Doch auf Höhe der 60 Meter-Marke schob  sich sein amerikanischer Rivale Tyson Gay auf der Nebenbahn auf gleiche Höhe. Ausgerechnet auf jener 60 Meter-Marke, auf der Powell gewöhnlich seine Höchstgeschwindigkeit erreichte.

Ab dem Zeitpunkt ihrer Höchstgeschwindigkeit können Sprinter ihr Tempo maximal auf diesem Niveau halten. Für einen minimalen Moment sieht man, wie Asafa Powell exakt dieser Gedanke in den Kopf zu schießen scheint: Wie kann Tyson dort zu mir aufschließen, wo ICH am schnellsten bin? Plötzlich ist die Aufmerksamkeit bei seinem Rivalen und nicht mehr auf seiner Bahn. Sein Gesicht verzieht sich, es wird zur Grimasse. Er verkrampft. Er wird langsamer.

Wenn die Aufmerksamkeit reißt

Sein ansonsten so grazil- kraftvoller Laufstil sieht nun irgendwie schief und schmerzverzerrt aus. Doch der Superstar aus Jamaika ist nicht verletzt, kein bitterer Muskelfaserriss, sondern ein Aufmerksamkeitsriss. Asafa Powell selbst beschreibt diesen Riss später so: „Ich bekam Panik“. Ab dem Zeitpunkt, wo  Tyson Gay auf ihn auflief, schaffte er es nicht mehr, sich auf seinen Bewegungsablauf zu konzentrieren. “Ich wollte einfach nur noch weg von meinem Kontrahenten”. Der Wille versetzt nicht immer Berge, manchmal lähmt er auch Muskeln: Seine sonst normale Schrittlänge von 2,60m verkürzte sich im letzten Drittel auf 2,40m. Seine Geschwindigkeit reduzierte sich für einen Sprinter dramatisch. 9,96 Sekunden auf 100 Meter. Bronzemedaille.

Nix läuft mehr

Dass Panik kein guter Ratgeber ist, das leuchtet unmittelbar ein, aber was passiert eigentlich im gesündesten Körper, wenn der Geist eines Super-Sprinters aufgibt? Die Panik im Kopf führte dazu, dass Beinbeuger und -strecker – die wichtigsten Muskeln für den Sprint – nicht mehr abwechselnd arbeiten, sondern gleichzeitig. Wenn beide Muskeln das Signal bekommen, nix wie weg, geht gar nichts mehr. Man spricht von Koaktivität der Muskeln. Es kommt zu einer Blockade des natürlichen Bewegungsablaufs. Steigt der Druck im Kopf, steigt das Verletzungsrisiko und sogar schnellste Männer der Welt werden langsam.

Wer Angst vor dem Verlieren hat, verliert

Der Fußballprofi vom VFL Wolfsburg Maximilian Arnold sagte nach zwei nervenzehrenden Relegationsspielen: “Der Druck ist brutal. Ich hatte ständig das Gefühl: Wir müssen, wir müssen. Man muss klar sagen: Da spielt auch Angst vorm Versagen eine Rolle. Der Kopf kann gar nicht mehr woanders hin. Mein Kopf war gar nicht mehr frei, um meine besten Leistungen abrufen zu können.”

13 Tage nach dem 100m Finale lief Asafa Powell bei einem Wettbewerb in Italien – ohne Konkurrenz seines Kalibers und ohne Druck – Weltrekord: 9,74 Sekunden. Statt 9,96 Sekunden in Osaka. Und damit mehr als zwei Zehntel Sekunden schneller. Im 100 Meter Lauf eine Welt.