Zu einem gelungen Auftritt gehört auch ein guter Abtritt. Die Orchestermusiker:innen und die Schauspieler:innen kennen das. Man lernt nicht nur “Applaus nehmen”, sondern auch bei all der Euphorie, bis zum Gang von der Bühne, noch einmal Konzentration und Haltung zeigen. Schließlich möchte niemand kurz vor Schluss noch die Treppe rauf oder den Orchestergraben herunter und dann als Meme durchs Internet fallen. Auf öffentlichen und gerade politischen Bühnen sind eher Rücktritte die Regel, der Marke unfreiwillig, lange nachdem der Applaus vorbei ist. Jacinda Ardern macht es anders. Die ehemalige Ministerpräsidentin von Neuseeland trat nicht nur würdevoll auf, sondern schaffte das Kunststück würdevoll abzutreten. Aus freien Stücken. Wie schön.

Souverän als Mutter und Ministerpräsidentin

Hierzulande wurde Jacinda Ardern vor allem durch ihren Auftritt aus dem Schlafzimmer bekannt: sie sitzt zu Hause und spricht ins Handy zu ihrer Nation über die Covid-Situation. Plötzlich kommt ihre kleine Tochter herein. Auch sie gehört schließlich zur Bevölkerung. Und wie reagiert die Ministerpräsidentin? Vollkommen gelassen, präsent und mit einer Portion Humor: “Wieso Kinder auch nach der Schlafenszeit immer wieder aufstehen müssen?” sagt sie mit einem Lächeln und kommt leicht zurück zum Thema. Unabhängig jeglicher Parteicouleur und Geschmack halte ich es für schwierig, dieses Verhalten nicht sympathisch und gleichzeitig souverän zu finden.

 

“Wir gegen das Virus”

Während Covid schaffte sie es mit ihren Neuseeländer:innen, dass nur 1000 Menschen starben, bei 5 Millionen Einwohner:innen. 95% der Bevölkerung waren geimpft. Ja, sie hatten einen Zeitvorteil und den Vorteil des Inseldaseins. Den haben sie clever genutzt. Das was mich so beeindruckt, ist die Art, wie sie es schaffte mit der Bevölkerung gemeinsame Sache zu machen. “Wir gegen das Virus” war das sportliche Narrativ einer sportbegeisterten und mit ihren Traditionen verankerten Nation. Wenn das keine Leadershipqualitäten sind und das als jüngste Frau die je Premierministerin gewesen ist und als erst die zweite Frau “worldwide”, die während ihrer Amtszeit ein Baby bekommen hat. Ihre Tochter Neve war das erste Baby bei einer UN Vollversammlung, mit eigenem Akkreditierungsausweis.

Ihre Konsequenz nach dem Terror von Christchurch

Die Fähigkeit konsequent aufzutreten, zeigte sie für mich eindrucksvoll in einem weiteren Beispiel. Denn ihre Amtszeit war alles andere als leicht. Am 15.9.2019 erschoss der Rechtsterrorist Brenton Tarrant in Christchurch 51 Menschen und verletzte 50 weitere bei seinem Angriff auf zwei Moscheen. Es war das schlimmste Ereignis, was Neuseeland bis dahin kannte. Was machte Ardern? “Es wird jede Art von halb automatischen Waffen, die bei dem Terroranschlag am vergangenen Freitag benutzt wurde, in diesem Land verboten”. Und das galt ab sofort. (zum Zeit Artikel dazu). Für die Waffen im Umlauf wurde ein Rückkaufprogramm der Regierung aufgesetzt. Kein Wunder, dass sie für diese Geschichte bei ihrem Besuch in der US Talkshow von Stephen Colbert, erstaunten Applaus bekam.

Lässig bei Stephen Colbert

Bei ihrem Besucht der Talkshow von Stephen Colbert ist ihr Auftritt so souverän, dass man sie auch für eine Schauspielerin halten könnte. Die Schauspieler:innen und anderen Gäste in US Talkshows liefern mit einer Lockerheit und Zuverlässigkeit Einlagen, weil sie ihre Rolle dort als Entertainer sehen und annehmen. Sie machen genau das, was bei “Wetten Dass?!” eigentlich nie passiert und auf mich eher unangenehm wirkt. Weder Angela Merkel noch Olaf Scholz sind bei Colbert übrigens zu Gast gewesen, ob nicht eingeladen oder nicht gewollt, sei mal dahin gestellt. Jacinda Ardern war zweimal zu Gast und beide Auftritte sind sehenswert.

 

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“Für mich ist es Zeit.”

Und jetzt also ihr Abtritt nach 6 Jahren. Ein Abtritt aus eigener Entscheidung. Überraschend kam dieser und genauso die Begründung: Sie sei schließlich ein Mensch und Mutter und verfügt nicht über die Kraft, die sie benötigt, um das Land weiterzuführen. Überraschend ist die Begründung nicht nur, weil jeder von uns weiß, wie schwierig es ist sich von lieb gewonnenen Dingen zu trennen. Sondern, dass es kein Skandal, Anschuldigung oder sonst etwas gegeben hat. Zumal sich von Ministerämtern zu trennen besonders schwierig erscheint. Würdevolle Abtritte sucht man in der deutschen Geschichte vergeblich. Die jüngere deutsche Geschichte zeugt von Rücktritten, wo das Publikum längst aufgehört hat zu klatschen. Man muss bis ins Jahr 1993 gehen, um einen einigermassen würdevollen Rücktritt zu finden. Und auch dem war ein Skandal hervorgegangen (Zum Taz Artikel). Und auch im Sport zeigt das jüngste Beispiel von Cristiano Ronaldo wie schwierig es ist den richtigen Zeitpunkt zu finden.

Die Würde und Schönheit der Freiwilligkeit.

Jacinda Ardern macht es anders. Sie tritt ab, freiwillig, was Stephen Colbert und andere höchst verunsichert. “Sie hört auf, weil es das richtig ist zu tun? Nicht weil sie ein Skandal hatte oder eine Wahl verloren hat?” Und genau in dieser “Frei-Willigkeit” steckt die Schönheit und Strahlkraft drin, die für mich in einem besonderen Satz den Ausdruck fand.

I leave with a greater love and affection for all New Zealand and its people than when I started. And I did not think this is possible.

Sie ist so frei auch bei ihrer Abschlussrede. Wer zum richtigen Zeitpunkt geht, geht eben in Vollendung. Wer zu lange bleibt und den Abtritt verpasst, der wird rausgekehrt. Wiedersehen meistens unerwünscht. Die Neuseeländerin werden sich freuen, ihre ehemalige Ministerpräsidentin wiederzusehen. Farewell Miss Ardern.

 

If you are going to leave, leave with a Brass Band.

 

 

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