Ich frage die Klientin, wenn du jetzt an den alten Auftritt denkst, wie geht es dir dabei? Sie senkt den Kopf. Sie atmet laut durch die Nase aus. Das Vorspiel liegt über 10 Jahre zurück. “Ich wurde vor allen anderen rund gemacht”. Der Körper scheint sich daran zu erinnern. Ihr Lippen rollen sich ein. Sie wirkt sauer. “Das schlimmste war, dass ich danach noch in dem Raum sitzen musste und nicht raus konnte.” Alte Erlebnisse stecken emotional oft noch in uns und lösen in zukünftigen Auftritten Stress und Anspannung aus, weil der Körper sich daran erinnert. Hätte sie doch damals wenigstens Tetris spielen können. Ja, Tetris.

Kognitive Aufgaben schneiden bei Patienten schlechter ab als sensomotorische Aufgabe

Es gibt eine Reihe von kreativen Studien, in denen untersucht wird, in wie fern verbale, sensomotorische oder sensomotorisch-visuelle Aufgaben, wie das Tippen auf einer Tastatur, Augenbewegungen, das Kneten einer Figur oder zum Beispiel das Rückwärtszählen, die Erinnerung an Traumata beeinflussen können. Scheinbar führen die sensomotorischen und sensomotorisch-visuellen Aufgaben zu einer Verringerung der nicht verbalen Erinnerung (man könnte sagen der unterbewussten meist körperlichen Erinnerung)

Was haben die Forscher gemacht?

Forscher um zum Beispiel Henrik Kessler haben sich folgendes ausgedacht: Knapp 90 Teilnehmer:innen (etwas mehr als die Hälfte waren Frauen) schauten sich in einem Laborversuch einen Traumafilm an und schrieben ihre Erinnerungen über die nächsten drei Tage in einer Art Tagebuch immer wieder auf. Nach den drei Tagen kamen die Teilnehmer:innen zurück ins Labor. Ihnen wurden einige Ausschnitte des Films wieder vorgespielt. Danach gab es eine 10 minütige Wartezeit. Danach kamen sie in drei unterschiedliche Interventionsgruppen. Eine Gruppe spielte Tetris, eine spielte ein Quiz und die dritte tat nichts. Im Anschluss wurden wieder drei Tage die Erinnerungen in ein Tagebuch geschrieben.

Unfassbar positive Ergebnisse

Während vor der Intervention die Erinnerungen zwischen den Gruppen gleich stark waren, änderten die sich nach der Maßnahme deutlich. Die Gruppe die Tetris spielte verringerte ihre Erinnerungen in den darauffolgenden Tagen um fast 80%. Die Kontrollgruppe reduzierte die negativen Erinnerungen nur um 22%, während die Gruppe, die das Quiz bearbeite etwas besser als die Kontrollgruppe abschnitt.

Ähnliche Ergebnisse mit “echten” Traumapatienten

Diese Ergebnisse ermutigten natürlich zu weiteren Untersuchungen. Also hat man die Idee auch an Menschen getestet, die mit Traumafalogestörungen diagnostiziert sind (PTBS), Trauma-Patienten und nicht im Labor. Die Ergebnis sind ähnlich beeindruckend. Die Reduktion der Erinnerungen belief sich hier auf 64% auch mit etwas Abstand an die Maßnahme. Dies Patienten wurden einmal in der Woche an ihr Trauma erinnert und spielten im Anschluss 20 Minuten Tetris.

Opfer von Verkehrsunfällen profitieren

Opfer von (Auto-)Unfällen haben oft besonders stark mit Flashbacks zu kämpfen. Wieso also diesen nicht direkt nach Entstehen des Schocks helfen? Genau das hat man gemacht: Eine Gruppe spielte nach dem hochholen (reaktivieren) der Erinnerung 20 Minuten Tetris und die andere schrieb eine Art Aktivitätsprotokoll dazu auf. Auch hier ging es den Tetrisspieler:innen deutlich besser, so dass sie deutlich weniger unter Flashbacks (visuellen) Erinnerungen litten. Die Ergebnisse zeigten sich sowohl eine Woche als auch einen Monat nach der Maßnahme.

Gesprächsansätze verschlechtern Zustände

Noch beeindruckender werden diese Ergebnisse vor dem Hintergrund, dass rein sprachliche Methoden die negativen Erinnerungen sogar verstärkten. Hierbei wurde direkt nach einem Traumaerlebniss in Form einer einstündigen Sitzung (einem bestimmten Protokoll folgend – psychological debriefing) untersucht, welche Wirkung dies auf Patient:innen hat. Keine gute. Man kann vor diesem Hintergrund vielleicht auch den natürlichen Reflex verstehen, wieso Menschen über gewisse alte Erlebnisse (Bsp. Rassismus, Diskriminierung usw.) nicht einfach sprechen wollen. Eine Sängerin sagte zu mir letztens in einem Gespräch “wieso soll ich alte Wunden wieder aufreissen, wenn mir niemand helfen kann.” . Reden hilft eben nicht immer. Umso wichtiger, dass mehr von körperlichen Methoden bekannt wird. Denn um das negative Erlebnis zu verändern, muss man es nunmal aktivieren, um auf der gleichen Ebene und “Sprache” (körperlich und emotional)  zu bearbeiten. Und beim Klopfen 0der EMDR muss man nicht mal mehr groß über das belastende Ereignis sprechen. (hier zum Artikel: Wie geht verdecktes arbeiten?)

Nicht jedes Computerspiel hilft

Aber bevor du jetzt dir selber sagst, Computerspielen ist immer gut, lies diesen Abschnitt auch noch. Denn spannend ist, dass andere  Spiele nicht den gewünschten Effekt wie Tetris hatten. Forscher konzipierten sogenannte TraumGamePlay – Spiele. In manchen muss man Objekten ausweichen, in anderen mit Bällen Figuren umschmeissen. Beides funktionierte nicht. Der Zauber von Tetris ist damit noch nicht erklärt. Die Forscherin Antonia Pfeiffer erklärt es mit einer besonderen Friedfertigkeit und Berechenbarkeit des Spiels, was die alte Erinnerung überschreibt und keine anderen Assoziierungen weckt.

Wie funktioniert Tetris im Körper?

Aber wie wirkt Tetris oder vergleichbare Dinge? Ein guter Erklärungsansatz ist, dass die negativen Erinnerung auf Sinnesebene mit denen hinzukommenden “friedlichen” Sinneseindrücken von Tetris “konkurrieren”. Die gleichen Kanäle (visuellen und sensomotorischen) werden genutzt. Unser Arbeitsspeicher hat aber nur eine gewisse Kapazität. Meine Klientin sagte, “ich sehe genau wie ich wieder im Raum stehe und auf mich eingebrüllt wird”. Man könnte sagen, diese Kanäle werden überfordert. Die alte Erinnerung bekommt nicht mehr so viel Platz. Und das spannende eben nachhaltig, so dass die negativen Erinnerungen zur Erinnerung werden (wer es genauer möchte, dem empfehle ich das Buch von Antonia Pfeiffer im Carl Auer Verlag). Das beschreibt in etwa den Prozess des der Klopf- und Augenbewegungstechniken.

Wieso es für dich als jemand der Auftritt wichtig ist?

Um Erlebnisse nicht zu sehr an sich herankommen zu lassen, insbesondere wenn man das Gefühl hatte, dass sie nicht so gut liefen, ist es wichtig sich nach Auftritten, mental ab zu wärmen. Man könnte etwas unsauber sagen, um unterbewusste negative Erinnerungen gar nicht erst entstehen zu lassen. Also ab jetzt immer den Gameboy mitnehmen oder sich einfache und individuell zugeschnittene Klopfdurchgänge und Augenbewegungstechniken zeigen zu lassen, um nach dem Casting, der Prüfung, der Bühne gut für sich und den Körper sorgen zu können. Es ist anzunehmen, dass meiner Klient:in dies geholfen hätte, dass die Erinnerung sich nicht so stark verankert und ich weniger Arbeit gehabt. Nach einer 90 Minuten Session PEP und etwas EMDR und insbesondere den noch berechtigten Ärger auf die Person loswerden, war die Vorfreude auf das nächste Vorspiel wieder da und das alte Erlebnis einfach nur noch ein Teil ihrer Geschichte, ohne Wirkung.

Wie diese Erkenntnis im Alltag helfen kann?

Man muss kein großes Problem oder negatives Ereignis haben, um von den Erkenntnis im Alltag zu profitieren. Aus der Schmerzforschung weiss man, dass zum Beispiel bewusster wie unbewusster Ärger zur Anspannung insbesondere in der Rückenmuskulatur führt und das Schmerzempfinden vergrößert. Umso größer wird dies bei Menschen in Versuchen, die ihren Ärger oder genervt sein nicht Ausdruck verleihen konnten. Meine Klient:innen empfehle ich daher immer die kleinen Tappingübungen, die zum Ärger (Genervt sein) über sich oder jemand anderen (oder anderes) in ein paar Minuten je nach Phase einfach pro forma zu machen. Nicht selten sind sie überrascht, dass sich noch mal etwas Druck und Ärger lösen, ohne das ihnen solcher bewusst war. (In der Podcastfolge mit Jasmin Schwiers kannst du dir das anhören).

Ich kaufe mir jetzt einen Gameboy

Mir war es nie vergönnt als Kind einen Game Boy zu haben. Ich hatte aber genug Spiele. Nichts desto trotz. Ein Gameboy war schon cool. Ich konnte ihn mir manchmal ausleihen. Wie sehr habe ich mich gefreut dann insbesondere Tennis, Super Mario Land und Tetris zu spielen. Wenn ich jetzt an den nervtötenden Sound von Tetris denke, ist er sofort präsent. Wer hätte gedacht, dass dieses Spiel tatsächlich Menschen helfen kann unangenehme Erinnerungen zu mindern, sogar Menschen in Notaufnahmen nach Unfällen? Hätte ich und meine Eltern das damals gewusst…

(Hier kannst du dir anhören, wie so seine Session in etwa abläuft.)

 

Jasmin Schwiers – Auftrittscoaching: Wie kann ich mit Tappintechniken meine Aufregung senken?

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